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Geburt
   
Die Geburten fanden früher fast ausnahmslos daheim statt. Sogar Frauen, die wussten, dass ihnen eine schwere Geburt bevorstand, gingen nicht ins Spital. Jede Gemeinde hatte eine Hebamme, grössere sogar mehrere. Entbindungen im Spital kamen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermehrt auf.
Die Hausgeburt unter Anleitung einer Hebamme war eine Angelegenheit unter Frauen. Wenn die Wehen einsetzten, zündete man zuhause oder in einer Kapelle Kerzen an. Angehörige und Bekannte beteten für eine risikolose Geburt, hauptsächlich zur heiligen Notburga und zum heiligen Ignatius. Frauen, die in Geburtsnöten waren, tranken Ignatius-Wasser, das mit einem besonderen Segen versehen war, oder versprachen den Kauf eines Heidenkindes. Die Mütter und die Hebammen wussten noch eine Menge anderer Vorbeugungs- und Hilfsmittel. Die erfahrenen Hebammen waren unentbehrliche Beraterinnen. Die Mütter hatten häufig niemand anders, dem sie ihre Sorgen und Beschwerden anvertrauen konnten. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, in welcher Situation sich eine Frau befand, die einer Geburt entgegensah. Sie hatte ausser ihrem Mann kaum eine Person, mit der sie reden konnte, denn das Reden über diese Dinge war unüblich und nicht schicklich. Das Tabu, das über allem Geschlechtlichen lastete, war für viele Frauen schier unerträglich. Das Wort Geburt war, wenn nicht ganz tabu, so doch höchst unschicklich. Beim Landvolk hiess es kaum, eine Frau habe geboren. Dazu gab es Deckwörter.

Jede Geburt war bis ins 20. Jahrhundert sowohl für die Mutter als auch für das Kind mit grosser Lebensgefahr verbunden. Weit häufiger als bei der bereits risikoreichen Geburt war der Tod im Kindbett. Das Kindbettfieber war eine gefürchtete Erkrankung. Auch die Säuglingssterblichkeit war bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts hoch. Die Ursache für die hohe Sterblichkeit waren vielfältig: schlechte hygienische Bedingungen, ungenügende Ernährung und Infektionskrankheiten. Keuchhusten, Diphtherie, Masern oder Scharlach verliefen im 19. Jahrhundert oft tödlich. Es gab Leute, die schlugen nach einer Geburt sofort die «Brattig» (Hauskalender) auf und erkundigten sich nach den astrologischen Zeichen. Es bestand der Glaube, dass ein Sonntagskind ein glückliches Kind und ein Fronfastenkind geistersehend war.

Nach der Geburt war die erste Sorge, das Kind am Leben zu erhalten und zu veranlassen, dass es bald getauft wurde. Denn es gehörte zum Schlimmsten, ein ungetauftes Kind sterben zu sehen. Die Hebamme gab dem Kind Weihwasser. Mehrfach belegt war der Brauch, dass man die Nachgeburt im Keller des Geburtshauses vergrub. Von Frauen, die bei der Geburt starben, hiess es, dass sie direkt in den Himmel kamen, dass sie aber zurückkamen, um ihr Kind zu stillen.

Für die Frauen konnte die Geburt den Tod im Kindsbett zur Folge haben. Beim Kind sorgte man sich bis zur Taufe vor allem um dessen Seelenheil. Verständlich, dass sich diverse Mittel fanden, die die Mutter und das Kind während der Geburt vor dem Einfluss böser Mächte schützten und ihnen Kraft verliehen. Wehenkreuze sollten der Frau die Geburt ihres Kindes erleichtern. Die Gebärende hielt dazu das Kreuz in der Hand oder es wurde ihr auf den Bauch gelegt, was zusätzlich das Kind im Mutterleib stärkte. Die Kreuzform, die als das Schutzsymbol schlechthin angesehen wurde, und die Segnung des Wehenkreuzes durch einen Priester verliehen diesem Schutzmittel eine sakrale Bedeutung. Auf der Rückseite befand sich oft das Monogramm für Jesus und Maria, von denen Hilfe erbeten wurde. Die Form des Kreuzes war nicht von Bedeutung; man kannte Wehenkreuze als lateinische Kreuze oder Patriarchenkreuze. Viel wichtiger war dagegen das Material, aus dem Wehenkreuze hergestellt waren. So waren sie meist aus Steinen, wie Bergkristall, Malachit oder Achat, gefertigt. Es fanden sich aber auch Kreuze aus Sternkoralle, Muschelkalk oder Steinbockshorn. All diesen Materialien schrieb man eine geburtsfördernde Wirkung zu.

Eine dem Wehenkreuz ähnliche Funktion und Anwendung erfüllten die Wehenfläschchen. Diese filigranen, meist birnenförmigen Glasfläschchen enthielten Reliquien, am besten solche des heiligen Ignatius von Loyola, der als Begründer des Jesuitenordens gilt. Man verehrte ihn als Schutzpatron der Frauen und Kinder und erbat bei schweren Geburten seinen Beistand.

Doch nicht nur die Frau brauchte Beistand. Auch dem Kind drohte bereits während der Geburt Gefahr. Deshalb nahm die Mutter bei der Geburt etwas Ignatius-Wasser ein, um dadurch das noch ungeborene Kind vor dem Teufel zu schützen. Das neugeborene Kind wurde so schnell wie möglich getauft, denn die Furcht war sehr gross, dass sich der Teufel der unschuldigen Seele bemächtigte. Bereits während der Geburt, glaubte man, rang der Teufel um die Seele des Kindes. Davor schützte das Ignatius-Wasser. Auch bei Tiergeburten gab man dem Muttertier Ignatius-Wasser zu trinken, um schlechte Einflüsse fernzuhalten.

Bedeutungsvoll in der Geburtshilfe waren die Fortschritte der Medizin und der Chirurgie. Mit der Eröffnung des Kantonsspitals Uri im 1872 tat man einen entscheidenden Schritt in Richtung wissenschaftsorientierter Geburtshilfe. Die erfolgreiche Anwendung des Kaiserschnitts wurde erst im Kantonsspital möglich. Wöchnerinnen, die an der Geburt gestorben waren, wurden fortan regelmässig seziert und Todesursachen sowie Fehler bei operativen Eingriffen in einem schriftlichen Sektionsbefund festgehalten. Die Spitalgeburt brachte nicht nur Fortschritte in medizinischer und chirurgischer Hinsicht. Die Bedeutung der Hygiene bei der Geburt und im Umgang mit dem Säugling wurde hier beispielhaft demonstriert, ebenso die richtige Ernährung und Pflege des Neugeborenen und der Wöchnerin.

Autor: Bär-Vetsch Walter, Aus einer anderen Welt, S. 209 ff. Literatur: Zihlmann Josef, Volkserzählungen und Bräuche, S. 207 ff.; Hofmann Lea, Anhängen, zeigen; S. 53 f.

NACHWEISE

«Auf Haldi lebte ein Mann, der furchtbar hart und unvernünftig mit seiner Frau umging. Einst, da ihre Niederkunft nahe bevorstand, schickte er sie noch zu einer schweren Arbeit. Sie wollte sich entschuldigen und wies auf das Kindlein, das sie unter dem Herzen trug. Er aber wurde nur noch wilder und brüllte sie an: „Ä, chum-mer doch nitt mit dynä Filänä!“ Zur Strafe kam sein nächstes Kind mit zwei je einem Rossgrinde ähnlichen Köpfen zur Welt. Ein anderer ebenso roher Gatte sagte in einem ähnlichen Fall: „Ja, d'r Tyfel hesch byn-d'r!“ Da gebar die Frau eine Schlange.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 735.
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«Frau Muheim, eine Hebamme, die ein Fraufastenkind war, hat ihn gesehen auf dem Miststock hinter dem alten Gasthaus zum Ochsen; er zündete mit seinem Auge so hell, dass sie trotz finsterer Nacht eine ganze Strecke weit ohne Licht gehen konnte.»

«Är isch halt äs Fraufastächind gsy, dem hennt-si alli Geister miässä la gseh.»

«Ich bin ein Fronfastenkind und sehe deshalb mehr als andere Leute.»

Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 1496, 492 g, 1586.
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«Deshalb verzögerte sich die Taufe und das Kind starb ungetauft ... Das war manchem eine Warnung. Es gibt nämlich kein besseres Werk, als einem Kinde zur Taufe, also zu einer christlichen Seele zu verhelfen.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1231.
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«Alte Leute behaupten, jene Kinder, die sogleich nach der Taufe sterben, ohne das Geringste, ohne auch nur die kleinste irdische Nahrung von dieser Welt gekostet zu haben, seien die schönsten Engel und hätten die grösste Freude im Himmel. Ja, es gab Mütter und gibt vielleicht noch solche, die extra aus diesem Glauben die neugeborenen Kinder 24 Stunden ohne jegliche Nahrung liessen.»

«Jene Kinder, die nach der Taufe sterben, ohne irgend eine irdische Nahrung, „äs wältlichs Chestli“, genossen zu haben, nennt man Wesperli oder Wesperchind, „das sind die schönsten Engelein“. Der obgenannte Volksglaube reicht also wohl in die Zeit zurück, da man den nüchternen Kindern nach der hl. Taufe auch die hl. Kommunion erteilte; daher die Betonung des weltlichen Köstleins im Gegensatz zur geistlichen Nahrung der hl. Kommunion.»

«“Myner Müetter“, fügt die Erzählerin bei, „isch äu äss Gottächind nah d'r Tauf gstorbä. Wennd-si von'm redt, säit-s'm nur: mys Weschberli.“»

«Das isch äss Weschberli gsy, äss Chind, wo nah d'r Täuf stirbt, ep's ä wältlichi Choscht gnossä het. Dass gäb näiwä-n-äso scheeni Ängäli, hennt-s alligs wellä ha.»

Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 93 a und c, 1375, 1511.
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«Wenn ein unschuldiges Kind stirbt, soll man nicht weinen; die Tränen tun ihm weh, sie fallen auf sein Hemdchen und machen es nass.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 1156.
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«Auf dem Wasen in Göschenen stand eine Kindbetterin zu früh auf, was ihren Tod verursachte. Nachdem sie gestorben, wurde sie von ihren Kindern gesehen.»

«Ein Schächentaler, den ältere Leute noch gekannt haben, hat es selber erfahren, dass seine Frau, die von einem ganz kleinen Kinde weggestorben war, längere Zeit nachts kam und das arme Tröpfli pflegte und ihm die Ordnung hielt.»

Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 1120, 1121.
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Walter Bär-Vetsch, Altdorf

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Stand der Arbeiten:
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Nachweise in den Urner Sagen >
in Arbeit

 

Texte und Angaben: Quellenverweise und Rolf Gisler-Jauch / Angaben ohne Gewähr / Impressum / Letzte Aktualisierung: 1.6.2019