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Betruf
   
Der eindrücklichste Brauch aus dem magisch-religiösen Bereich ist der Betruf, auch Ave-Maria-Ruf oder Sennen-Ave genannt. Der Älpler ruft ihn, sobald er im Sommer mit dem Vieh auf die Alpweiden gezogen war, allabendlich über die Weiden. Nicht zu verwechseln ist der Betruf mit dem Alpsegen, den der Priester bei der jährlichen Alpsegnung sprach. Der Betruf ist ein uralter Brauch, und nur der Senn oder dort, wo jeder Bauer einzeln alpt, der Hausvater, darf das hehre Amt ausüben.

Jeden Abend beim Einnachten, nach getaner Arbeit, ruft der verantwortliche Älpler mit weittragender Stimme den einstimmigen Sprechgesang in einer Mischung von Schriftsprache und Mundart in die vier Himmelsrichtungen. Er tut dies in der Regel beim Alpkreuz, das auf einer kleinen Anhöhe nahe der Hütte steht, und benützt als Schallverstärker die Folle (grosser hölzerner Milchtrichter). In der Nähe von Kirchen und Kapellen übernahmen die Glocken die Aufgabe des Betrufes.

Ein froher Jauchzer geht dem Betruf voran. Dann singt der Rufer in feierlich-ernstem Choralton hinaus in die aufsteigende Nacht:

«Miär riäfet z'lobä,
all Schritt und Tritt,
i Gott's Namä lobä.
Hiä uff derä Alp isch ä goldigä Ring,
dri wohnt diä liäb Müettergottes mit
ihrem härzallerlieäbschtä Jesuschind.
Jesus, Maria und Josef.
Ave Maria, Maria, ave Maria.
Jesus, Herr Jesus,
unser allerlieäbschter
Herr Jesus Christ,
Gott bhiät und bewahr ys und alles
was da isch und drzüä gheert.
Ave Maria, das walte Gott und
dr lieäb Sant Antoni und
dr lieäb Sant Wändel,
diä wellet ys ds Veeh bhieätä und
bewahrä hiä uff derä Alp.
Ave Maria, das walte Gott und
dr liäb Sant Michel, är well ys
bschitzä und bewahrä a Lyb und See
Ave Maria, das walte Gott und
dr heilig Sant Josef, är well ys
z'Hilf und z'Troscht cho,
jetz und de uff yserm Todbett.
Ave Maria, das walt Gott und
dr heilig Brüeder Chläuis, är well
ys bhieätä und bewahrä vor Chriäg
und Hungersnot.
Ave Maria, leschet Fyr und Lieächt,
uff dass ys Gott und Maria
wohl behieätet.
Ave Maria. Alles im Namä der
hochheiligschtä Dryfaltigkeit
Gott Vater, Gott Sohn und Gott
heiliger Geischt.
Das walte Gott
und das lieäb heilig Chryz.
Gelobt sei Jesus Christ,
gelobt sei Jesus Christ,
gelobt sei Herr Jesus Christ.»

Der Betruf wird mit einem «Schlussjüz» abgeschlossen. In dem seit dem späten Mittelalter bekannten Segensgebet bittet der Älpler Gott, die Gottesmutter Maria, Jesus, den Heiligen Geist und volkstümliche Heilige, wie die Bauernheiligen Antonius, Wendelin und Bruder Klaus, Mensch, Tier, Hab und Gut für die Nacht in ihre Obhut zu nehmen. In einer Art Gebetsrezitation werden sie angerufen, sie mögen das Vieh von Blitzschlag und Seuchen bewahren, die Habe auf der Alp vor Feuer schützen sowie den Älplern im Sterben beistehen. So weit die Stimme des Älplers reicht, soll auch der Schutzbann («alles, was auf dieser Alp ischt und dazugehört, zu behüätä und zu bewahrä») gelten (Ringmotiv).

Wenn aber ein Senn irgendein Tier vom Betrufen ausschloss, gewann Es darüber Gewalt und holte es aus der Mitte der Sennten heraus. Es grenzte eben allseits an Besitz und Ring und flutete unheilbringend in jede Lücke, die im Bannkreis klaffte. Diese Lücke schien nicht das Wort des Menschen zu reissen, sondern eher der Frevel, der in seiner Gesinnung lag. Schloss nämlich ein Senn das Tier von einer Wohltat aus, auf die die ganze Herde Anspruch hatte, machte er sich damit der parteiischen Viehhaltung, also eines schweren Frevels, schuldig.

Den Betruf durfte man nicht vorführen, man musste ihn anwenden, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit. Der Betruf gehört eigentlich auf die Alp. Bei den «Nationalspielen» auf dem Urnerboden gehörte er zum Festprogramm, war teilweise sogar Wettkampfdisziplin, die benotet wurde. Heutzutage wird der Betruf auch in die Dienste des Tourismus gestellt und bei folkloristischen Veranstaltungen aufgeführt.

Literatur: Bär-Vetsch Walter, Kraft aus einer andern Welt, S. 92 ff. Stadler-Planzer Hans, Geschichte des Landes Uri, Bd. 1, S. 104 ff. Senti Alois, Das brauchtümliche Beten, S. 74; Niederberger Hanspeter, Hirtler Christof; Geister, Bann und Herrgottswinkel, S. 192; Renner Eduard, Goldener Ring, S. 177. Foto: Iten Karl, Betruf auf der Gufernalp im Meintal (StAUR P-251 / 388-97).

NACHWEISE

«Eines Abends änderte der Senn seinen gewohnten Betruf und rief: „B'hiët uns Gottes alles vor allem Beesä, was hië ummä-n- und anä-n-ist, ohne der weisse Schimmel nicht!»

«B'hüet Gott, der St. Antoni, der St. Wändel alles uff der Alp, ohni der weisse Schimmel nicht.»

«Nach anderer Darstellung schloss der Senn am Samstagabend beim Betruf den bösen Alpstier vom Segen aus, indem er rief: „B'hiët Gott Alles uff diser Alp, ohni d'r Stiër nit!»

«Betruf: „B'hiët Gott Alles ohni äs Häutt (Haupt) nitt.»

«... und eines Abends rief der Senn zu beten: „B'hiët Gott alles uf der Alp weder der wyss Schimmel nitt!»

«Scherzweise rief der Senn beim Betruf: „B'hüet Gott etc., nur dië alt Mährä nitt!»


Müller Josef, Sagen aus Uri, Sagen 588, 588 c; 737 2 b und d; 909 1 und 909 2.
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«Nicht weit von der Alphütte entfernt ... ebene Steinplatten aus, die Holzplatte, die Tanzplatte und die Sennenplatte, auf welch letzterer der Betruf gesprochen wird.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 2 1.
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«Aber da begann grad der Senn mit dem Betruf, und so wurde jener Älpler vor dem Zusammenprall bewahrt.»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 583.
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«Eines Abends, als ich zu beten gerufen hatte und zur Hütte zurückkehrte, ...»

«Eis Summers am erschtä-n-Abed, wo-s' üffg'fahrä gsy sind, hed-er wië gwohnt wellä ga z'bättä riëffä.»

«Jetzt griff der Senn zur Folla und rief zu beten. Die Tiere beruhigten sich allmählich und kehrten zurück. Seitdem haben sie da oben den Betruf nie mehr unterlassen.»

«Zu Oberkäsern im Maderanertal unterliess ein leichtsinniger Senn aus Mutwillen den allabendlichen Betruf.»

«Der Kapuziner, der nicht selber auf die Alp kam, befahl ihnen, sie sollten am Abend zu Beten rufen und das St. Johannes-Evangelium beten.»

«Eines Abends vergassen sie im Stafel N. – ich weiss nicht, wo es war – das Sant Johanns-Evangeli zu rufen. In der Nacht darauf nahm es ihnen das Vieh, und am nächsten Morgen sahen sie dieses oben am Stock an einem furchtbar wüsten Ort.»

«Gar nicht selten, besonders wenn sie nicht zu beten gerufen hatten, ereignete es sich in den Alpen des Isentals, dass über Nacht das Vieh von unsichtbaren, unbekannten Kräften oder Wesen entführt wurde.»

«Hätte der Hirt zu beten gerufen, so hätte „es“ die Gewalt über das Vieh verloren und letzteres wäre zutode gefallen, was ebenfalls geschehen wäre, wenn es der Älpler selber abzuholen versucht hätte.»

Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 667 2, 727, 737 1, 738, 895 5, 923, 925 4 und 8.
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«Eines Herbsts am letzten Abend rief der Senn am Schlusse des Betrufs zum Abschied: „Hinecht z'letscht Mal,“»
Müller Josef, Sagen aus Uri, Sage 620 4.
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Texte und Angaben: Quellenverweise und Rolf Gisler-Jauch / Angaben ohne Gewähr / Impressum / Letzte Aktualisierung: 1.6.2019