Einzelnes Geschäft an der Landsgemeinde
Sonntag, 2. Mai 1920
Landesgemeinde vom 2. Mai 1920
Bötzlingen an der Gand, Schattdorf, 12 Uhr
Landammann:
Martin Gamma
Landschreiber:
Friedrich Gisler
Geschäfte:
Neuwahl des Regierungsrates / Wahl des Landammanns / Wahl des Landesstatthalters / Wahl der zwei Ständeräte / Entlassungsgesuch des Präsidents des Kreisgerichts / Ersatzwahl ins Kreisgericht Uri / Abänderung von Art. 28 KV (Volksbegehren) / Gesetz betreffend Beitragsleistungen an die Lehrerbesoldungen / Erhöhung des Kantonsbeitrages an das Kollegium / Inititaivbegehren (Lehrerbesoldungsgesetz) / Volksbegehren (Lehrlingsgesetz) / Initiativbegehren (Sonntagstanz am Kirchweihsonntag und bei Gesellschaftsanlässen) / Volksbegehren (Abgabe bei Tanzanlässen) / Bericht über die finanzielle Lage des Kantons / Bürgerrechtsgesuch (Fuchs) / Erneuerungswahl der Landschreiber / Erneuerungswahl der Landesfürsprecher / Erneuerungswahl der Landweibel.
Initiativbegehren (Sonntagstanz am Kirchweihsonntag und bei Gesellschaftsanlässen).
Antrag:
-«Jnitiativbegehren betreffend Sonntagstanz am Kirchweihsonntag und bei Gesellschaftsanlässen.
Innert nützlicher Frist wurde à mit 838 Unterschriften aus 14 Gemeinden des alten Kantonsteils bedecktes Jnitiativbegehren zuhanden der Landesgemeinde betr. Einführung des Sonntagstanzes am Kirchweihsonntag und bei Gesellschaftsanlässe eingereicht.
Von den Unterschriften mußten aus einer Gemeinde allein 16 gestrichen werden, weil es sich um einen Ausländer, 12 Aufenthalter und um drei Stimmberechtigte, die ihren Namen auf zwei Bogen gesetzt hatten, handelte. Auch in zwei andern Gemeinden kamen ungehörige und Doppelunterschriften vor. Dadurch verhindert sich, die Gesamtzahl auf 820. Zweifellos würde auch diese Zahl noch zu reduzieren sein, wenn die Nachkontrolle auch aus die übrigen 13 Gemeinden ausgedehnt werden könnte. Das ist aber der Kürze der Beratungszeit wegen nicht möglich, hat übrigens auch keinen praktischen Wert, da ja das Begehren sowieso als zustandegekommen zu betrachten ist.
Das Begehren lautet: „Die Unterzeichneten stimmfähigen Einwohner des Kantons Uri stellen zuhanden der Landesgemeinde vom 2. Mai 1920 folgendes Jnitiativbegehren:
1. Die Abhaltung von Tanzunterhaltungen sei an Kirchweihsonntagen in jeder Gemeinde von 4 Uhr nachmittags an gestattet, ausdrücklich aber in dem Sinne, dass für jede Gemeinde und Filiale je nur ein Sonntag im Jahr als Kirchweihsonntag festzusetzen ist. Zu den Filialen werden Amsteg, Bristen, Meien, Göscheneralp und Urnerboden gerechnet.
2. Für Gesellschaftsanlässe, namentlich für die Bedürfnisse der Fremdenindustrie, sei der h. Regierungsrat resp. die Polizeidirektion Uri ermächtigt, eine Tanzbewilligung auszustellen.
3. Das Gesetz betr. Heiligung der Sonn- und Feiertage vom 6. Mai 1900, Art. 2, Abs. d, sei in oben erwähntem Sinne abzuändern.
Begründung. Der Weltkrieg ist nun vorüber. Es ist zu hoffen, daß die schwierigsten Zeilen überwunden sind und bessere nachfolgen. Das arbeitende Volk, sei es der Bürger, der Bauersmann oder der Arbeiter, besitzt auch ein Recht, sich wenigstens einmal im Jahr am althergebrachten Kilbisonntag in seiner Gemeinde bei einem ehrenhaften Tanz zu unterhalten. Der reiche Mann hat das ganze Jahr Gelegenheit, sich zu vergnügen. Einem kraftvollen Volke, das am Werktag arbeitet, gehört doch wenigstens ein ganzer Kilbisonntag! Nicht der Sonntagstanz im allgemeinen und während des ganzen Jahres wird verlangt, sondern nur der Tanz am Kirchweihsonntag, als eine Ausnahme von der Regel, und zwar am Abend.
Die Fremdenindustrie liegt im argen. Auch ihr soll nachgeholfen werden, wenn auch nur mit einer bescheidenen Bewilligung bei Anlässen, wie dies in vielen Kantonen schon längst eingeführt worden ist.
Bei Ausbruch ansteckender Krankheiten, bei Eintritt außergewöhnlicher Zeiten u. dergl. bleiben selbstverständlich alle dem h. Regierungsrate zukommenden bisherigen Rechte betr. vorübergehender Untersagung der Unterhaltungen gewahrt."
Der Landrat des Kantons Uri bemerkt zum vorneherein, daß er die redlichen Absichten der Initianten, an deren Spitze Vertreter des Wirtsgewerbes stehen, nicht in Zweifel zieht. Aber er gibt zu erwägen:
1. Die Heiligung des Sonntags ist Gottes Gebot. Auf der Sonntagsheiligung ruht ein großer Segen, der dem Volke zugute kommt, und es ist notwendig, das Volk auch von Seite der Behörden daran zu erinnern.
2. Die Tanzgelegenheiten sind das Jahr hindurch so häufig, daß absolut kein Bedürfnis vorliegt, sie noch durch den Sonntagstanz zu vermehren. Beispielsweise waren seit Aufhebung des Verbotes die Tanzanlässe geradezu übermäßig zahlreich und am besten von der arbeitenden Bevölkerung frequentiert, ein Beweis, daß die letztere keinen Mangel an Tanzgelegenheiten hat.
3. Wenn dem vorliegenden Begehren entsprochen würde, hätten wir einen zweitägigen Kirchweihtanz, denn es wird niemanden einfallen, anzunehmen, daß dann der Nachkirchweihtanz nicht gleichwohl abgehalten würde. Es ist nicht im Interesse des Volkswohles, der herrschenden allzu großen Genußsucht durch Vermehrung der Tanzanlässe weiter Vorschub zu leisten.
4. Das Begehren II öffnet der Verallgemeinerung des Sonntagstanzes Tür und Tor, weil für Gesellschäftsanlässe die Tanzbewilligung verlangt werden kann. Wir würden in der Folge solche Anlässe übergenug bekommen. Auch speziell für die Fremdenindustrie sind sie kein Bedürfnis, denn die Kuranten können, wenn sie wollen, während der Woche tanzen, es muß nicht gerade ein Sonntag sein. Sollte aber ein Hotel sich nur noch wegen des Sonntagstanzes zu halten vermögen, wäre es im Interesse der Allgemeinheit besser, wenn es geschlossen würde.
5. Die Zeiten mahnen, daß das Volk wieder zu einer ernstern Lebensauffassung und Lebensordnung zurückkehren muß, wenn es nicht an seiner Moral und Kraft bleibenden Schaden nehmen will.
Zurück zur Einfachheit! und beschließt:
Der h. Landesgemeinde wird beantragt, es sei dieses Jnitiativbegehren, gestützt auf die obstehenden Erwägungen, abzulehnen.»
Ergebnis:
Das Volksbegehren wird abgelehnt.
Quelle:
Abl UR 1920, Nr. 16, 15.04.1920, nach S. 356, 1-24 (Beratungsgegenstände); Abl UR 1920, Nr. 19, 06.05.1920, S. 413 ff. (Verhandlungen).
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