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BEZIEHUNGEN

Bund Kantone Ausland

Einzelnes Geschäft an der Landsgemeinde

Sonntag, 5. Mai 1872
Landesgemeinde vom 5. Mai 1872
Bötzlingen an der Gand, Schattdorf, 12 Uhr
Landammann: Dominik Epp
Landschreiber: Gisler
Geschäfte: Revision der Bundesverfassung / Abänderung der Kantonsverfassung über das Repräsentationsverhältnis im Landrat und in den Bezirkrsräten / Abänderung des Paternitätsgesetzes / Gesetzesentwurf über das Assekuranzwesen / Wahl eines Landammanns / Wahl eines Landesstatthalters / Wahl eines Pannerherrn / Wahl eines Landessäckelmeisters / Wahl zweier Ständeräte / Erneuerungswahlen des Kantonsgerichts

Revision der Bundesverfassung.
Antrag: «Wie nach Prüfung des aus den Berathungen der Bundesversammlung hervorgegangenen Entwurfes einer neuen Bundesverfassung sich ergibt, bringet dieselbe folgende Neuerungen, welche besondere nähere Beachtung verdienen, weil sie in die kantonalen Verhältnisse tief eingreifen:
Das von den Kantonen bisher selbstständig ausgeübte Gesetzgebungsrecht wird denselben in folgenden wichtigen Materien entzogen und dem Bunde übertragen.
1. Das Gesetzgebungsrecht über das Minimum des in den Kantonen der Jugend zu ertheilenden Primarunterrichtes, von welchem vorgeschrieben ist, daß er obligatorisch und unentgeltlich sein muß. 2. Die Gesetzgebung über das Eherecht nach dem Grundsatz vollständiger Freiheit, indem-die Verfassung zum vornhinein feststellt, daß die Heirath künftig nicht aus kirchlichen oder ökonomischen Rücksichten oder wegen bisherigen Verhaltens oder aus andern polizeilichen Gründen beschränkt werden darf. Es ist des fernern vorgeschrieben, daß Niemand angehalten werden kann, in Eheangelegenheiten einer geistlichen Gerichtsbarkeit sich zu unterziehen.
3. Die Gesetzgebung über das Civilrecht mit Inbegriff des Verfahrens, demnach, nicht nur das Eherecht, sondern auch das Familienrecht, das Erbrecht, das Hypothekarrecht, die Schuldbetreibung, das Konkurs- und Vormundsschaftswesen durch einheitliches Gesetz von Bundeswegen wird geregelt werden.
4. Die Gesetzgebung über das Strafrecht und den Prozeß, wonach die Kriminal- und Polizeivergehen künftig nach eidgen. Gesetzen zu bestrafen sein werde
5. Gesetzgebungsrecht über Jagd und Fischerei.
Nebst diesen gesetzgeberischen Competenzen ist dem Bund das Oberaufsichtsrecht über die Wasserbau- und Forstpolizei, und damit die Befugniß vorbehalten, auch in dieser Beziehung in die kantonale Verwaltung sich einzumischen.
Der Bund gewährleistet sodann:
Das unbedingte Recht der Niederlassung von Kanton zu Kanton, von Gemeinde zu Gemeinde, sofern der sich Niederlassende nur einen Heimathschein vorweiset, und nicht durch strafrechtliches Urtheil die bürgerlichen Rechte und Ehren verloren hat. Eine Entziehung der Niederlassungsbewilligung darf nur dann stattfinden, wenn der letztere Fall eintritt, oder der Betreffende der öffentlichen Wohlthätigkeit dauernd zur Last fällt, und dessen Heimathsgemeinde, beziehungsweise Heimathskanton, eine angemessene Unterstützung trotz amtlicher Aufforderung nicht gewähret.
Ferner garantirt der Bund die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit unter der Bestimmung, daß Niemand in der Ausübung der bürgerlichen oder politischen Rechte um der Glaubensansichten willen beschränkt oder zur Vornahme einer religiösen Handlung angehalten oder wegen Unterlassung einer solchen mit Strafe belegt werden darf.
Mit der Bundesgesetzgebung hat es die Bewandniß, daß dieselbe ganz in den Händen der gesetzgebenden Räthe liegt, daß Bundesgesetze, sowie Bundesbeschlüsse, welche die Zustimmung beider Räthe erhalten haben, und nicht dringlicher Natur sind, dem Volke zur Annahme oder Verwerfung erst vorgelegt werden, wenn es von 50,000 stimmberechtigten Schweizerbürgern oder von fünf Kantonen verlangt wird.
Da bei solchen Abstimmungen das Standesvotum ausgeschlossen ist, so werden einige große Kantone mit ihrer starken Bevölkerungszahl jedes Mat den Ausschlag geben und den kleinern das Gesetz machen.
Zu allem dem kömmt, daß die sämmtliche Militärverwaltung den Kantonen entzogen und zentralisirt wird. Demnach, wofern das Verfassungsprojekt angenommen wird, werden die Kantone in Zukunft ihre Mannschaft zum Bundesheere zu liefern, im übrigen aber zur Militär-Administration kein Wort mehr zu sprechen haben. Der Bund wird ohne deren Zuthun die Organisation und Formation der Truppen besorgen, die Rekruten ausheben, die Offiziere ernennen, die Taxen für Dienstentlassungen festsetzen und in Empfang nehmen, Ort und Zeit des Unterrichts bestimmen, und über das vorhandene Kriegsmaterial der Kantone verfügen. Es liegt sogar in seiner Befugniß, Kasernen, Zeughäuser und Waffenplätze der Kantone an sich zu ziehen, während eine Entschädigungspflicht in der Verfassung noch nicht einmal anerkannt ist, und die nähern Bedingungen der Uebernahme festzustellen erst der Bundesgesetzgebung vorbehalten bleibt. Um die ungeheuern Militärkosten zu decken, werden den Kantonen ihre Zoll- und Postentschädigungen, welche die bedeutendsten Einnahmsquellen für den innern Haushalt mehrerer Kantone bilden, entzogen, und der Bundeskasse zugewendet.
Wenn diese und andere Einnahmen zur Bestreitung der Ausgaben des Bundes nicht genügen, was beim Stand der Bundesfinanzen vorauszusehen ist, so ist durch eine Bestimmung des neuen Verfassungsprojektes bereits Vorsorge getroffen, daß das Mangelnde durch Beiträge der Kantone nach Maßgabe ihrer Steuerkraft gedeckt werden muß.
In finanzieller Beziehung verliert der Kanton Uri an Postentschädigung jährliche Fr. 29,770. 96., die Zollentschädigung von jährlichen Fr. 72,500, welche man durch Vertrag auf unbeschränkte Dauer regulirt glaubte, wird ihm ausnahmsweise aus Rücksicht des Unterhalts der internationalen Alpenstraßen einstweilen belassen, aber um jährliche Fr. 2500 beschnitten, wogegen ihm die Entlastung des Militärbudget um jährliche circa Fr. 15,000 einzig zu gut kömmt.
Da nun beim einfachen Ueberblicke der Neuerungen, welche der neue Verfassungsentwurf darbietet, von selbst einleuchtet, daß derselbe die altherkömmlichen, wohlerworbenen Rechte und Freiheiten des Kantons in politischer, religiöser und ökonomischer Beziehung in hohem Maße verletzt und beeinträchtiget;
Da auch nicht zu verkennen ist, daß eine einheitliche Bundesgesetzgebung den Landesverhältnissen, den Sitten und Gebräuchen der hiesigen Bevölkerung nicht entsprechen wird;
Da ferners dem Verfassungsprojekte sichtbar die Tendenz zu Grunde liegt, die Souveränität der Kantone allmählig aufzuheben und die Schweiz in einen Einheitsstaat umzuwandeln, womit nicht nur die innere Freiheit der Kantone verloren gehet, sondern die Unabhängigkeit der Schweiz nach Außen selbst auf's Spiel gesetzt wird;
Da unter diesen Verhältnissen es klüger und besser ist, -bei der bisherigen Bundesverfassung von 1848, unter welcher die Schweiz eine lange Reihe von Jahren friedlich und zufrieden verlebte, zu verbleiben, als das neue Verfassungsprojekt mit allen seinen nachtheiligen Folgen anzunehmen; .
so beantraget der Landrath mit Einmuth: .
daß die h. Landesgemeinde beschließe: .
1. das Standesvotum für Verwerfung der vorliegenden neuen Bundesverfassung abzugeben.»

  
Ergebnis: Nach Anhörung des Antrages des Landrats betreffend den Entwurf einer neuen Bundesverfassung erachtet die Landsgemeinde als klüger, bei der bisherigen Bundesverfassung von 1848 zu verbleiben, als das neue Verfassungsprojekt mit allen seinen nachteiligen Folgen anzunehmen, beschliesst, das Standesvotum für Verwerfung der neuen Bundesverfassung abzugeben.

   
Quelle: Abl UR 1872, Nr. 16, 18. April 1872, nach S. 114, 1-11 (Beratungsgegenstände); Abl UR 1872, Nr. 19, 9. Mai 1872, S. 133 f. (Verhandlungen).

 
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Texte und Angaben: Quellenverweise und Rolf Gisler-Jauch / Angaben ohne Gewähr / Impressum / Letzte Aktualisierung: 02.02.2022