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Gesetzesbestimmungen

Kantonale Gesetze, 1892-1958 (Fortsetzung des Landbuches)
Bd 8 (1917-1921)
Gesetze und Verordnungen (Bd 8), 1916-1921
Gesetz über das Lehrlingswesen

LB UR Bd 08 (1916-1921) S. 441-450.
Gesetz über das Lehrlingswesen
«Die Landesgemeinde des Kantons Uri, in Vollziehung von Art. 44, f der Kantonsverfassung, auf den Antrag des Landrates, beschließt:

Allgemeines.

Art. 1.
Das Lehrlingswesen, umfassend die Berufslehre und Berufsbildung, wird dem Schutze und der Kontrolle des Staates unterstellt.

Art. 2.
„Lehrling" im Sinne dieses Gesetzes ist jede männliche oder weibliche Person, welche in Betrieben des Handwerks, der Gewerbe, der Industrie, des Handels und Verkehrs oder in öffentlichen und privaten Anstalten und Verwaltungen einen bestimmten Beruf erlernt. Als Lehrlinge sind auch bezahlte Angestellte zu betrachten, wenn sich aus der Natur der Anstellung ein Lehrverhältnis ergibt.
„Lehrmeister" im Sinne des Gesetzes ist, wer solche Personen in einem der vorgenannten Betriebe zur Erlernung eines Berufes beschäftigt.

Art. 3.
Der Eintritt in eine Lehre darf nicht vor Beendigung des obligatorischen Schulunterrichtes, jedenfalls nicht vor Ablauf des 14. Altersjahres erfolgen. Der Lehrling hat sich über die entsprechenden geistigen und körperlichen Fähigkeiten auszuweisen.

Art. 4.
Die Lehrlingskommission kann, unter Vorbehalt des Rekursrechtes an den Regierungsrat (Art. 23), Lehrmeistern die Annahme von Lehrlingen vorübergehend untersagen, wenn:
a) der Betriebsinhaber die zur Berufsanlernurig nötigen Kenntnisse und Eigenschaften nicht besitzt und nicht für geeignete Stellvertretung besorgt ist oder aus eigenem Verschulden wiederholt ungenügend vorgebildete Lehrlinge zur Lehrlingsprüfung geschickt hat;
b) der Lehrmeister wegen Widerhandlung gegen dieses Gesetz wiederholt bestraft werden mußte;
c) der Lehrling sittlichen Gefahren ausgesetzt ist;
d) die richtige Ausbildung durch eine Überzahl von Lehrlingen in einem Betriebe gefährdet. ist oder wegen Überfüllung eines Berufes die Verminderung der Zahl der Lehrlinge verlangt wird.

Lehrvertrag.

Art. 5.
Innert der Probezeit von vier Wochen, welche in der Lehrzeit eingeschossen ist, steht es jedem Teil frei, das Lehrverhältnis aufzulösen.
Noch vor Ablauf der Probezeit wird ein schriftlicher Lehrvertrag in 3 Exemplaren ausgestellt, den Lehrmeister, Lehrling und dessen gesetzlicher Vertreter zu unterzeichnen haben. Ein Exemplar ist innert Monatsfrist der Gewerbedirektion Uri zuzustellen, je ein Exemplar bleibt bei den vertragschließenden Parteien.
Für Lehrlinge, die mit dem Inhaber der elterlichen Gewalt in einem Lehrverhältnis stehen, ist die Aufstellung eines schriftlichen Lehrvertrages nicht erforderlich. Dagegen ist der Gewerbedirektion Beginn und Dauer eines solchen Lehrverhältnisses und die Art des Berufes schriftlich mitzuteilen.

Art. 6.
Der Lehrvertrag muß genau bezeichnen: Beruf oder Berufszweig, Geburtsdatum des Lehrlings, Beginn und Dauer der Lehrzeit, Tauer der täglichen Arbeitszeit, die gegenseitigen besonderen Pflichten und Leistungen, die Versicherungspflicht gegen Krankheit und Unfall, die Folgen allfälliger Vertragsauflösung.
Der Lehrvertrag darf keine Bestimmungen enthalten, welche diesem Gesetze zuwiderlaufen oder die freie Entschließung des Lehrlings inbezug aus die Berufstätigkeit nach beendeter Lehrzeit beeinträchtigen.
Spätere Abänderungen am Lehrlingsvertrag sind der Gewerbedirektion sofort schriftlich mitzuteilen.

Art. 7.
Für die Dauer der Lehrzeit sind die Normen der schweizerischen Berufsverbände maßgebend.
Der Regierungsrat kann Lehrvertragsformulare ausstellen oder die von schweiz. Berufsverbländen ausgestellten als verbindlich erklären.
Wenn die Dauer der Lehrzeit infolge Krankheit oder obligatorischem Militärdienst um mehr als den 20. Teil verkürzt wurde, können der Lehrmeister und der Lehrling oder dessen gesetzlicher Vertreter eine entsprechende Verlängerung verlangen.

Lehrverhältnis.

Art. 8.
Das Lehrverhältnis beginnt mit dem Eintritt des Lehrlings in das Geschäft. Beim Abgang ist dem Lehrling ein Zeugnis auszustellen.

Art. 9.
Der Lehrmeister hat für die Ausbildung des Lehrlings in den Fertigkeiten und Kenntnissen des Berufes gewissenhaft zu sorgen. Die Ausbildung soll stufenweise und im Sinne einer wohlwollenden Erziehung erfolgen.
Der Lehrling ist vor körperlichen und sittlichen Schäden zu bewahren und zur Erfüllung seiner bürgerlichen und religiösen Pflichten anzuhalten. Ist der Lehrling noch nicht volljährig, so kann ihm der Lehrmeister mit Einwilligung des Inhabers der elterlichen Gewalt den Eintritt in Vereine und Organisationen verbieten, sofern dadurch die Berufsbildung beeinträchtigt wird, ihn jedoch nicht zum Eintritt in solche zwingen.
Wichtige Vorfälle, wie ernsthafte Erkrankung, Unfälle, grobe Verfehlungen des Lehrlings, sind dessen Eltern oder dem Vormund ungesäumt zur Kenntnis zu bringen.

Art. 10.
Lebt der Lehrling in der Hausgemeinschaft des Lehrmeisters, so hat letzterer für gewissenhafte Überwachung, sowie für eine ausreichende Ernährung desselben und gesunden Schlafraum mit Einzelbett zu sorgen. Bei vorübergehender Krankheit von nicht über drei Wochen hat der Lehrling Anspruch auf unentgeltliche Pflege und ärztliche Behandlung.

Art. 11.
Der Lehrling muss gegen Unfall und Krankheit versichert sein.
In Betrieben, die dem Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung nicht unterstehen, hat der Lehrmeister die Versicherung gegen Betriebsunfälle auf seine Kosten zu übernehmen.
Die Versicherung gegen Krankheit ist eine Pflicht des Lehrlings, wenn diese im Lehrvertrag nicht ausdrücklich vom Lehrmeister übernommen wird.

Art. 12.
Der Lehrling ist dem Lehrmeister gegenüber zu Fleiß, Gehorsam, Treue und Verschwiegenheit verpflichtet. Für absichtlich oder fahrlässig dem Lehrmeister zugefügten Schaden ist er nach O.R. 328 verantwortlich.

Art. 13.
Steht der Lehrling in einem Lohnverhältnis, so ist der Lohn im Lehrvertrag genau anzugeben. Er darf nicht nach dem Akkordsystem berechnet werden. Anerkannte -oder richterlich festgesetzte Schadenersatzansprüche des Meisters können ratenweise vom Lohn abgezogen werden.

Art. 14.
Die Arbeitszeit des Lehrlings soll gleiche sein derjenigen der Angestellten des betreffenden Betriebes, gemäß den Bundesvorschriften und der Berufsordnung
Es ist gestattet, den Lehrling über diese Zeit hinaus bis auf eine halbe Stunde täglich zu Aufräumungs- und Hilfsarbeiten zu verwenden. In Notfällen ist eine Verlängerung der normalen Arbeitszeit um eine Stunde zulässig, jedoch nur bis auf 50 Stunden im Jahr und soweit das übrige Arbeitspersonal für den gleichen Zweck in Anspruch genommen wird.
Im Gesamten darf die Arbeitszeit 10 Stunden täglich oder 60 Stunden in der Woche nicht überschreiten.

Art. 15.
Zu Sonntags- oder Nachtarbeit (20 Uhr bis 6 Uhr) darf der Lehrling nicht verwendet werden.
Der Regierungsrat bezeichnet die Berufsarten, denen Ausnahmen zu bewilligen sind und steckt diese fest. Dabei muß dem Lehrling eine ununterbrochene zehnstündige Ruhezeit, sowie ein Ersatz für wegfallende Sonntagsruhe gesichert werden.

Art. 16.
Der Lehrling hat Anspruch auf einen alljährlichen, zusammenhängenden Ferienurlaub von mindestens einer Woche ohne Lohnabzug. Den Zeitpunkt bestimmt der Meister.

Berufsbildung.

Art. 17.
Das gewerbliche und kaufmännische Bildungswesen ist dem Regierungsrat unterstellt.
Private Anstalten und Vereine für berufliche Weiterbildung haben nach Maßgabe des Bedürfnisses und ihrer Leistungen Anspruch aus Unterstützung durch Staatsbeiträge.
Der Lehrplan der Anstalten soll den beruflichen Anforderungen entsprechen. Die Unterrichtszeit ist so anzusetzen, daß die Betriebe möglichst geschont werden.

Art. 18.
Wo gewerbliche über kaufmännische Fortbildungsschulen bestehen, ist jeder Lehrling zum regelmäßigen Besuch einer derselben während der ganzen Dauer der vertragsmäßigen Lehrzeit verpflichtet, sofern die Schule nicht mehr als 5 Kilometer vom Wohnort des Lehrlings entfernt ist. Der Unterricht in den benötigten Fächern soll für den Lehrling unentgeltlich sein.
Der Lehrmeister hat dem Lehrling für den Besuch der Schule wöchentlich bis auf fünf Stunden während der Arbeitszeit freizugeben. Ebenso die nötige Zeit für den Religionsunterricht, beides ohne Lohnabzug oder Zeitanrechnung.

Art. 19. Der Regierungsrat ist befugt, nach Maßgabe der im Voranschlag der Staatsverwaltung vom Landrate bewilligten Kredite und soweit die Stiftungen nicht ausreichen, an unbemittelte, befähigte und fleißige Lehrlinge während der Lehre und behufs weiterer Ausbildung Stipendien auszurichten.

Lehrlingsprüfung.

Art. 20.
Jeder Lehrling ist verpflichtet, zum Abschluss seiner Lehrzeit eine Prüfung über Kenntnisse und Fertigkeit abzulegen.
Wer die Lehrlingsprüfung wegen ungenügender Kenntnisse nicht bestanden oder aus wichtigen Münden versäumt hat, kann sich innert Jahresfrist wieder zur Prüfung stellen.
Der Lehrmeister hat für rechtzeitige Anmeldung der Lehrlinge zu sorgen und ihnen die nötige Zeit für die Prüfung freizugeben.
Jedem Lehrling, der die Prüfung bestanden hat, wird ein Lehrbrief ausgestellt.
Gute Leistungen werden prämiert.

Art. 21.
Für die Lehrlingsprüfungen gelten die Vorschriften der schweiz. Berufsverbände, soweit sie diesem Gesetze nicht widersprechen.
Die gewerblichen und kaufmännischen Prüfungen sind getrennt vorzunehmen.
Die während der Prüfung angefertigten Arbeitsproben sollen öffentlich ausgestellt werden.

Art. 22.
Organisation und Leitung der Lehrlingsprüfungen kann der Regierungsrat entweder nach bisheriger Übung einer Berufsorganisation oder der Lehrlings-Kommission übertragen.
Die Kosten der Prüfung werden mit Benützung des Bundesbeitrages und allfällig von anderer Seite fließender Beiträge vom Kanton übernommen.

Aufsicht und Vollzug.

Art. 23.
Der Regierungsrat ist oberste Aufsichts- und Rekursinstanz. Er trifft die grundsätzlichen Entscheidungen und erläßt die nötigen Reglemente.
Vollziehendes Organ des Regierungsrates ist die Gewerbedirektion, der eine kantonale Lehrlings-Kommission beigegeben wird. Die Entscheide können innert 14 Tagen an den Regierungsrat gezogen werden.

Art. 24.
Die kantonale Lehrlingskommission wird vom Regierungsrate auf die Dauer von vier Jahren ernannt. Sie besteht aus dem Gewerbedirektor oder dessen Stellvertreter und vier bis sechs Mitgliedern. Diese sind den Interessenkreisen zu entnehmen; Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen vertreten sein. Ihre Organisationen sind berechtigt, Vorschläge einzureichen, die für die Wahlbehörde jedoch unverbindlich sind.
Die Kommission bezieht das gesetzliche Sitz- und Marschgeld.

Art. 25.
Der Lehrlingskommission liegt besonders ob:
a) die Vorberatung der ausführenden Bestimmungen,
b) die Berufsberatung und die Begutachtung der das Lehrlingswesen betreffenden Fragen,
c) die Förderung und Beaufsichtigung der beruflichen Ausbildung,
d) die Kontrolle über die Lehrverträge und die Entscheidung über die aus den Art. 13, 14, 15 und 18 sich ergebenden Streitfragen,
e) die gütliche Beilegung von Streitfällen zwischen Meister und Lehrling. Auf Wunsch beider Parteien urteilt die Kommission als Schiedsgericht endgültig, unter Ansetzung einer bescheidenen Spruchgebühr.

Art. 26.
In wichtigen Fällen und sofern es die Lehrlingskommission als notwendig erachtet, sind die Berufsverbände und das Lehrlingspatronat für die Durchführung des Lehrlingsgesetzes, namentlich der in Art. 25 vorgesehenen Obliegenheiten zu beraten und beizuziehen.

Art. 27.
Jedermann ist unter den Voraussetzungen des Gesetzes über den Amtszwang pflichtig, eine Wahl in die Lehrlingskommission für eine Amtsdauer anzunehmen Straf- und Übergangsbestimmungen.

Art. 28.
Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz und seine Ausführungsbestimmungen können von der Gewerbedirektion mit Ordnungsbußen von 1-50 Franken belegt werden. In Wiederholungsfällen und bei Verfehlungen schwerer Art kann das Gericht Bußen bis auf 200 Franken ausfüllen.

Straf- und Übergangsbestimmungen.

Art. 29.
Dieses Gesetz tritt nach Annahme durch die Landesgemeinde mit dem nächstfolgenden 1. Juli in Kraft. Es findet auch Anwendung auf alle in diesem Zeitpunkte bestehenden Lehrverhältnisse, welche bei der Gewerbedirektion anzumelden sind.

Art. 30.
Mit der Inkrafterklärung dieses Gesetzes treten alle damit in Widerspruch stehenden Bestimmungen außer Wirksamkeit.»

Landsgemeindebeschluss vom 01.05.1921 (LB UR 1916-1921 Bd. 8, S. 441-450).
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RECHTSAMMLUNGEN

Übersicht
Rechtsquellen vor 1798
Urner Landbuch, 1823-1841
Sammlung der Gesetze, 1842-1863
Das Landbuch, 1891-1916
Sammlung der Gesetze, 1892-1958
Zwischenspiel Amtsblatt, 1959-1975
Das Urner Rechtsbuch, ab 1976

ABKÜRZUNGEN

LG = Landsgemeinde
eLG = Extra-Landsgemeinde
NG = Nachgemeinde
LR = Landrat
RA = Rat
WR = Wochenrat
AR = Allmendrat

 

 

 

Texte und Angaben: Quellenverweise und Rolf Gisler-Jauch / Angaben ohne Gewähr / Impressum / Letzte Aktualisierung: 20.2.2018